Porträt
NADIIA GIBT NICHT AUF. Und möchte endlich wieder Menschen helfen. Egal wo.
Nadiia bedeutet Hoffnung. Die hat sie nicht aufgegeben. Die Hoffnung, dass der Krieg in der Ukraine bald beendet ist. Wie so viele kam sie im März 2022 nach Österreich. Mit ihrer älteren 29-jährigen Tochter Daria und deren Kind Kseniia und den 17-jährigen Zwillingen Vladyslava und Yaroslav. Ihr Mann und ihr Schwiegersohn mussten in der Ukraine bleiben. „Egal ob sie mussten oder wollten, sie sind jetzt in einem Krieg und nicht bei uns.“ Man merkt, dass es ihr schwerfällt, über diese Situation zu sprechen.
Nadiia ist jetzt 52 Jahre. „Familie, Beruf, ich: das sind die drei Teile meines Lebens.“ Ihr „Ich“, das ist schwimmen, Schach spielen, manchmal auch tanzen und singen. „Das ist für die Seele“, sagt sie. Und lesen. Gerade liest sie Viktor Frankl. Auf Deutsch. Derzeit ist das für sie aber Freizeit, nicht Beruf. Sie möchte ihre Deutschkenntnisse, vor allem die medizinische Sprache, verbessern. Denn ihr sehnlichster Wunsch ist es, endlich wieder in ihrem Beruf arbeiten zu dürfen.
„Ich arbeitete als Ärztin, Psychiaterin, in Odessa. Mein Beruf war auch meine Leidenschaft“, sagt sie. Ihr halbes Leben hat sie diesen Beruf ausgeübt, 17 Jahre war sie zuletzt Leiterin einer Präventionsabteilung. Sie war auch zwei Jahre Dozentin an der ukrainischen Universität und hat einen Doktor in Philosophie. Um in Österreich wieder arbeiten zu dürfen, muss sie nun 14 Zeugnisse nostrifizieren lassen. „Wenn ich es einmal geschafft habe, werde ich es wieder schaffen.“ Sie besucht viele Lesungen, Workshops, Seminare. Zurzeit macht sie ein 3-wöchiges Praktikum bei AmberMed. AmberMed ist ein Kooperationsprojekt vom Diakonie Flüchtlingsdienst und dem Österreichischen Roten Kreuz und ermöglicht Menschen ohne Krankenversicherung niederschwelligen und dolmetschunterstützten Zugang zu medizinischer Versorgung. Ebenso bietet AmberMed Medikamentenhilfe und soziale Beratung. Nadiias Muttersprache ist da gerade sehr hilfreich, viele Ukrainer*innen tun sich noch schwer, sich zu verständigen, gerade in medizinischen Fragen. „Ich könnte ihre Seele heilen“, meint sie. Ihr nächstes Praktikum wird in der Wiener Suchthilfe sein.
Über den FAVoritIN_U Kurs im Integrationshaus hat sie diese Praktika gefunden. Dort gibt es frauenspezifische Arbeitsmarktvorbereitung und -orientierung mit Schwerpunkt auf Frauen aus der Ukraine. Mit dem Projekt wird das Ziel verfolgt, Voraussetzungen zu schaffen, um die Chancen auf den Übertritt in die Erwerbstätigkeit zu erhöhen. Und dort hat sie auch ihre Mentorin Claudia gefunden, eine freiwillige Mitarbeiterin des Integrationshauses. Claudia ist auch Ärztin, hat zwei Kinder. „Sie kann mir viel bei medizinischen Fragen helfen“, erzählt Nadiia.
Auch ihre Kinder sind hauptsächlich mit Lernen beschäftigt. Die älteste Tochter macht gerade einen B2-Deutschkurs, die jüngere Tochter ist am pädagogischen Kolleg und ihr Sohn ist im Gymnasium und bereitet sich auf die österreichische Matura vor. „Meine ganze Familie lernt“, sagt Nadiia lächelnd.
Weihnachten wird sie auch heuer wieder im kleinen Kreis der Familie feiern. Das Fest ist hier nicht so anders wie in der Ukraine: Familie, ein gutes Essen, ein kleiner Baum. Und die Hilfe und Empathie vieler Österreicher*innen, nicht nur zu Weihnachten, freut sie sehr. „Ich möchte jetzt als Psychiaterin in Österreich Fuß fassen. Und ich will trotz allem optimistisch in die Zukunft blicken.“ Doch was ist eine gute Zukunft? „Kein Krieg!“
VON NIKOLAUS HEINELT
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