Menschen
IN DER FREMDE NEU ANFANGEN – ohne Unterstützung wäre das kaum zu schaffen. Ahmad, 18, würde gerne öfter für andere da sein. So wie beim jüngsten Hochwasser in Niederösterreich.
Sein Freund hatte den Satz „Wir gehen helfen!“ kaum ausgesprochen, war für Ahmad bereits klar: „Ich komme mit!“ Zu helfen hat er von Kindesbeinen an gelernt. Dort, wo er als mittleres von insgesamt acht Kindern aufgewachsen ist, in Idlib im Nordwesten des kriegsgebeutelten Syrien, ist die einzig mögliche Art zu überleben, dass alle mit anpacken, wo es gerade nötig ist.
Im September 2024 war in Niederösterreich Hilfe gefragt. Ganze Landstriche waren überschwemmt, Ernten standen unter Wasser, Keller waren überflutet. Also krempelte der 18-jährige Syrer die Ärmel hoch, wie so viele andere, und machte, was zu machen war. Er und sein Freund halfen einer Familie in Korneuburg, ihr Haus auszuräumen und die Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen. „Die Leute haben sich gefreut“, sagt Ahmad.
Sein Vater und seine Mutter leben nach wie vor in Idlib. Fast jeden Tag telefonieren sie miteinander. Als er ihnen von seinem Hochwassereinsatz berichtete, seien sie stolz auf ihn gewesen, sagt er. Ahmad ruft ein Video auf seinem Handy auf. Man sieht eine Straßenecke, Häuser aus Stein, dann nur mehr verwackelte Bilder – und Staub. Er, Ahmad, sei auf dem Weg in die Schule gewesen, als in der Nähe eine Bombe explodierte. Zum Glück sei er unverletzt geblieben.
Zuerst schlug der Krieg seinen älteren Bruder in die Flucht; drei Jahre später ihn selbst. Die Front liegt nur einen Kilometer von Idlib entfernt. Ahmads Bruder lebt heute in Salzburg und macht eine Lehre zum Automechaniker. „Er mag Autos, so wie ich auch“, sagt Ahmad. In Syrien habe ihm der Vater mit seinem kleinen Honda das Fahren beigebracht. Da war er gerade einmal zwölf. Manchmal habe er sogar einen mit Sand oder Steinen beladenen Laster gelenkt. Ahmads Vater handelt mit Baustoffen.
Der Krieg in Syrien zwingt die Menschen, all ihre Kraft darauf zu verwenden, den Tag zu überleben, und lässt den Jungen kaum unbeschwerte Momente. Ahmad erinnert sich an die Spiele mit seinen Geschwistern, an Erdäpfel und Zucchini aus dem eigenen Garten. In Österreich beginnt er nun, an seine Zukunft zu denken. Das bedeutet: die Sprache lernen, eine Ausbildung und den Führerschein machen, Geld verdienen, vielleicht als LKW-Fahrer arbeiten, sich irgend-wann einen BMW leisten können.
Der junge Syrer wirkt müde. Heute hat er im Deutschkurs die Krankheiten durchgemacht: Bauchweh, Kopfschmerzen, Husten, schmerzende Füße. Danach sei er auf der Donauinsel spazieren gewesen. Das mache er öfter, wenn es ihm nicht so gut gehe. Manchmal helfe gegen das Grübeln auch, die Wohnung zu putzen. Ahmad lebt in einer WG im Wiener Integrationshaus. Dass er gut kocht und famose gefüllte Weinblätter zubereitet, hat sich hier bereits herumgesprochen.
„Man muss nach vorne schauen und darf nicht nur herumsitzen. Man muss sich bewegen“, sagt er. Wenn die Zeit es zulässt, trifft er sich mit Freunden zum Joggen oder zum Fußballspielen. Messi oder Ronaldo? Auf die unter männlichen Jugendlichen beliebte Frage gibt es für Ahmad ebenfalls nur eine Antwort: „Messi!“ Der Argentinier – mit vollem Namen Lionel Andrés Messi – spiele einfach besser als sein portugiesischer Kollege und sei zudem früher „selbst arm gewesen“. Einer, der es von unten bis an die Weltspitze geschafft hat, ist ein Vorbild für jene, die es schwer haben und etwas aus ihrem Leben machen wollen.
Manchmal vermisst Ahmad das Dorfleben in Syrien, den Zusammenhalt in der Nachbarschaft. Wenn ein Haus bombardiert wurde, rückten alle aus, um es wieder instand zu setzen. In Österreich ist er derjenige, der oft etwas braucht. Seine Betreuerin im Integrationshaus in Wien begleitet ihn zu Behörden, übersetzt Schreiben, hilft ihm, sich in der großen Stadt zurechtzufinden. Dafür ist er ihr von Herzen dankbar. Dass er umgekehrt selten um Hilfe gebeten wird, so wie während des schrecklichen Hochwassers, bedauert er: „Ich würde gerne öfters anderen helfen.“
VON EDITH MEINHART
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