Interview

Mitbestimmen statt nur Dabeisein

Lioba Kasper, em. Rechtsanwältin, und Regina Rischan, Fachbereichsleiterin im Gespräch über die Bedeutung von Mitbestimmung für geflüchtete Kinder.

Warum brauchen geflüchtete Kinder eigene Betreuungsangebote, auch wenn sie mit ihren Eltern zusammenleben?

Kinder, die gemeinsam mit ihren Eltern nach Österreich flüchten, stehen vor vielen Herausforderungen. Diese betreffen nicht nur ihre Entwicklung, sondern auch ihre Möglichkeit, am neuen Leben hier teilzunehmen. Auch die Eltern müssen sich in einer völlig neuen Umgebung zurechtfinden – und brauchen dabei selbst Unterstützung. Oft wird dabei übersehen, dass Kinder eigene Themen haben, über die sie nicht unbedingt mit ihren Eltern sprechen möchten oder können.
Es geht um Schule, Zukunft, Freundschaften oder auch um Sorgen, die sie lieber allein ansprechen wollen. Und manchmal haben Eltern und Kinder einfach unterschiedliche Wünsche oder Meinungen – dann braucht es einen geschützten Raum, in dem auch die Kinder zu Wort kommen können.

Warum sind geflüchtete Kinder besonders schutzbedürftig?  

Kinder entwickeln in jedem Lebensalter wichtige Fähigkeiten – wie Vertrauen, Mut, Selbstbewusstsein und Hoffnung. Wenn ihr Leben jedoch von Flucht, Unsicherheit oder Gewalt geprägt ist, kann diese Entwicklung gestört werden.
Viele Kinder, die nach Österreich kommen, haben schlimme Dinge erlebt: Verlust, Trennung, Diskriminierung oder Gewalt. Diese Erfahrungen hinterlassen Spuren und können zu seelischen Verletzungen führen. Gleichzeitig müssen sie hier enorm viel schaffen – eine neue Sprache  lernen, sich in einer anderen Kultur zurechtfinden und mit oft schwierigen Lebensbedingungen klarkommen. Das alles verlangt ihnen sehr viel ab.

Mit welchen Belastungen haben geflüchtete Kinder im Alltag zu kämpfen?

Viele Kinder übernehmen Aufgaben, die eigentlich den Eltern zukommen – etwa, weil die Eltern krank sind, traumatisiert sind oder die Sprache noch nicht sprechen. So kümmern sich Kinder oft um jüngere Geschwister,  helfen im Haushalt oder unterstützen ihre Eltern bei Behördenwegen. Das ist eine große Verantwortung für ein Kind.
Hinzu kommt, dass viele Familien auf engem Raum leben. Es fehlt an Rückzugsmöglichkeiten und an Sicherheit. Konflikte sind damit fast vorprogrammiert. Freizeit und soziale Teilhabe bleiben oft auf der Strecke einfach, weil das Geld fehlt. Das erschwert nicht nur die Integration, sondern nimmt den Kindern auch ein Stück Kindheit. Auch in der Schule stoßen viele auf Hürden. Durch Flucht und Unterbrechungen im Schulbesuch entstehen Lücken, die schwer aufzuholen sind. Und leider erleben viele Kinder auch Ausgrenzung – wegen ihrer Herkunft, ihres Aufenthalts-status oder ihrer Lebensumstände.

Wie geht es den Kindern im  Integrationshaus?

Unsere Erfahrungen aus über 30 Jahren zeigen: Auch Kinder, die mit ihren Eltern hier sind, brauchen eine intensivere Betreuung, als die normale Regel-versorgung bieten kann. Viele von ihnen haben traumatische Erlebnisse hinter sich.
Im Integrationshaus versuchen wir, Stabilität zu schaffen und gleichzeitig die Stärken und Talente der Kinder zu fördern – durch kreative Angebote, gemeinsames Tun, Bewegung oder soziale Projekte.

Welche Rolle spielt dabei die  Mitbestimmung?  

Mitreden, mitentscheiden, mitgestalten – das stärkt Kinder und hilft ihnen, wieder Vertrauen in sich selbst  zu gewinnen. Deshalb wurde im Integrationshaus ein eigenes Kinderbüro eingerichtet, betreut von einer Klinischen und Gesundheitspsychologin. Hier können Kinder einfach vorbeikommen, an Gruppen teilnehmen oder Einzeltermine wahrnehmen. Es gibt Kindergruppen, Jugendgruppen und Lernangebote. Das Kinderbüro ist ein Ort, an dem Kinder  sagen dürfen, was sie brauchen – und wo sie gehört werden. Das stärkt ihre Selbstständigkeit und ihr Selbstvertrauen. Außerdem gibt es Freizeitangebote wie Ausflüge, Basteln oder Spieleverleih. Auch hier können Kinder ihre Wünsche einbringen und bei der Planung mithelfen.

Welche weiteren Angebote gibt es?

In den Gruppen finden Kinder neue Freundschaften und lernen, wie man mit anderen umgeht. Durch den regelmäßigen Kontakt mit der Psychologin entsteht Vertrauen – eine wichtige Grundlage. Dabei geht es vor allem darum, Stabilität zu schaffen. Viele Kinder haben das Vertrauen in sich und ihre Umwelt verloren – im Kinderbüro können sie es Schritt für Schritt wieder aufbauen.

Wie erleben Kinder das  Asylverfahren?

Das Asylverfahren ist schon für Erwachsene schwer zu verstehen für Kinder erst recht. Deshalb erklärt die Rechtsberatung im Integrationshaus, wie das alles abläuft. In Gesprächen mit den Eltern oder auch allein mit den Kindern. So werden Ängste abgebaut und die Kinder spüren, dass sie mitreden dürfen. Die Betreuer*innen unterstützen dabei, indem sie alles in kindgerechter Sprache erklären und Fragen beantworten. So fühlen sich die Kinder ernst genommen und einbezogen. Die Erfahrung zeigt deutlich: Wenn Kinder gehört werden, wenn sie sich sicher fühlen und selbst mitgestalten dürfen, verbessert sich ihre Lebenssituation spürbar.
Am Ende ist es eine gemeinsame Aufgabe von uns allen, dafür zu sorgen, dass jedes Kind – egal, woher es kommt – die  gleichen Chancen hat: auf Sicherheit, auf  Bildung und auf eine Zukunft voller Ver trauen und Möglichkeiten.

Mehr dazu im Beitrag „Mitbestimmung statt Dabei sein: Partizipation von begleiteten geflüchteten Kindern“ von Lioba Kasper und Regina Rischan finden Sie in unserer Publikation „Flüchten Ankommen Bleiben“

Zurück