Frauenportraits
ANNA | 42 | GEORGIEN
„Ich konnte mein Ziel nicht erreichen.“ Anna sollte in Georgien ein Germanistik-Studium beginnen, sie wollte Dolmetscherin werden. Doch dann musste sie weggehen und konnte ihre Ausbildung nicht machen. 2005 kam sie nach Österreich, wo sie einen Asylantrag stellte. Bis 2015 sollte es dauern, bis sie subsidiären Schutz bekam, 2019 dann die Rot-Weiß-Rot–Karte. Die muss sie nun ständig verlängern lassen, damit sie in Österreich bleiben kann.
Im Integrationshaus besuchte Anna zahlreiche Deutschkurse. Bis B2 hat sie es geschafft. „Eine flüssige Unterhaltung mit Muttersprachlern zu verschiedenen Themen fällt leicht“ ist die Definition dieses Niveaus. Gleichzeitig war Anna auch in der Beratungsstelle des Integrationshauses tätig.
Seit 2017 arbeitet Anna in den sozialpädagogischen Wohngemeinschaften des Integrationshauses als Wirtschaftshelferin. „Es ist wie zuhause, nur koche ich halt für noch mehr Kinder“, sagt sie, obwohl sie anfangs ziemlich unsicher war, ob sie das schaffen würde. „Jetzt fühle ich mich hier wie in meinem Haus.“ Ihre Kollegin Sevim ist eine gute Freundin geworden. Anna kocht meist, was sich die Kinder wünschen, oft ist das Lasagne.
Der Wecker läutet bei Anna täglich um 5:40 Uhr. Sie muss die Kinder für den Tag vorbereiten, die beiden jüngeren bringt sie in die Schule, dann geht es in die Arbeit. Wenn sie nachmittags nach Hause kommt, muss sie sich dann wieder um die eigenen Kinder kümmern, schauen, dass alles für die Schule passt. „Ich bin sehr stolz auf sie, es gibt keine Probleme und immer wieder Lob von den Lehrer*innen.“
„Österreich ist meine Heimat geworden.“ Anna hofft sehr darauf, endlich einen Daueraufenthalt zu bekommen. Das gäbe ihr die langersehnte Sicherheit und einen Fremdenpass, um endlich einmal nach Georgien reisen zu können und ihre Mutter und Geschwister wieder zu sehen. Ganz allgemein wünscht sie sich Gesundheit und Frieden. „Mein Herz tut weh, wenn Menschen, vor allem Kinder, in Kriegen sterben.“
RAOAAN | 30 | IRAK
„Es ist ganz einfach: Ich habe viel dafür gelernt, und jetzt möchte ich auch in diesem Beruf arbeiten!“ Bei Raoaan spürt man im Gespräch so eine große Motivation. Sie hat im Irak technische Chemie und Verfahrens technik studiert. Schon in der Schule war sie von Chemie begeistert, vor allem Lebensmittelchemie hat sie interessiert. Daher hat sie nach der Schule ein vierjähriges Studium abgeschlossen, um sich ihren Traum zu erfüllen. Praktika wie „Destillation“ und „Entwicklung von Prüf- und Messverfahren“ begleiteten sie dabei. Die Möglichkeiten, im Irak in diesem Bereich einen Job zu finden, waren danach nur sehr gering, und so musste sie als Verkäuferin arbeiten. „Aber ich wollte mich weiterentwickeln und arbeiten.“ Deswegen, aber vor allem wegen der Anschläge des IS, verließ sie 2016 mit ihrem Mann den Irak und kam nach Österreich.
Hier begann sie Deutsch zu lernen, ihre Ausbildung anerkennen zu lassen und bekam ihr erstes Kind. Mittlerweile spricht sie fließend Deutsch, ihre Ausbildungen wurden nostrifiziert, und sie hat zwei weitere Kinder bekommen. Das jüngste ist jetzt ein Jahr alt. Vormittags passt der Vater auf das Kind auf, damit Raoaan den FAVori-tIN-Kurs im Integrationshaus besuchen kann. Von einer Freundin hatte sie davon erfahren, dass hier besonders Frauen geholfen wird, in die Arbeitswelt einzusteigen. „Ich habe gleich mit dem Kurs begonnen, weil ich endlich eine Arbeit in meinem Bereich finden möchte.“ Doch die Herausforderungen sind groß. Bei unzähligen Unternehmen hat sie sich schon beworben, aber immer die gleiche Antwort bekommen: zu wenig Berufserfahrung. „Nur, wie soll ich die bekommen, wenn mir niemand eine Chance gibt, zu arbeiten?“ Um sich weiter zubilden, liest sie jetzt auch Fachliteratur in Deutsch, wegen des speziellen Vokabulars. Daneben spricht sie Arabisch, Kurdisch und Englisch, ihre Studiensprache. Und Raoaan überlegt, auch noch ein Masterstudium in Österreich anzuschließen. Damit ihr Traum doch noch wahr wird.
VIKTORIIA | 38 | UKRAINE
In der Ukraine hat Viktoriia nach der Schule in einem Unternehmen zur Herstellung medizinischer Instrumente begonnen. Dort hat sie auch andere Arbeitsbereiche kennengelernt, die sie interessierten. Dafür musste sie aber Ingenieurin werden. Daher studierte sie sechs Jahre Energiemanagement. Ihre Diplomarbeit schrieb sie über den Energiehaushalt von Hotels. Ab 2005 arbeitete sie im Energiemanagement für Unternehmen. Doch dann kam der Krieg. „Das war bisher unsere größte Herausforderung: die Stabilität in der Heimat zu verlassen und in eine ungewisse Zukunft aufzubrechen.“
Hier gilt es, sich in einer neuen Gesellschaft zurechtzufinden, alles ist neu. Viktoriias Tochter ist jetzt zwölf und geht in die Schule. „Als ordentliche Schülerin“, wie sie betont. Aber auch für sie ist es schwer, vor allem, weil sie sehr unterschiedliche Lehrer*innen hat. Einen technischen Beruf möchte sie aber nicht machen, sie möchte im humanitären Bereich arbeiten.
Auch wenn Viktoriia jetzt einmal Deutsch lernt und ihre Diplome anerkennen lassen möchte, ist vieles offen. In Österreich gibt es ganz andere Standards im Energiebereich, da müssen sich auch Expert*innen erst einmal einarbeiten. Und vielleicht braucht es auch noch weitere Schulungen. Und irgendwann dann möchte Viktoriia wieder mit ihrer Familie viel reisen. „Es gibt so viele wunderschöne Orte auf der Welt, wo man so viel lernen kann.“
SEDRA, SHAHD, SIREEN | 18, 19, 21 | PALÄSTINA
Sedra, Shahd und Sireen sind Palästinenserinnen. Aber nur Shahd ist tatsächlich in Palästina geboren. Dort ging sie viereinhalb Jahre in die Volksschule, die in Palästina fünf Jahre dauert. Dann musste ihr Vater flüchten, die Familie folgte bald nach. In Österreich hat sie die Pflichtschule abgeschlossen und noch zwei Jahre Handelsschule angefügt. Sie wollte aber ins Berufsleben und hat in der Jugendwerkstatt zwei Praktika gemacht – „IT für Mädchen“ und „Mediendesign“. Dazu Probetage als Einzelhandelskauffrau und als Drogistin. Jetzt ist sie im Projekt JAWANext im Integrationshaus gelandet, wo Jugendliche in verschiedenen Bildungsmodulen sowie durch praktisches Bewerbungstraining und Betriebspraktika für eine Lehrausbildung fit gemacht und bei der Lehrstellensuche unterstützt werden. Pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin (PKA) wäre der Wunsch von Shahd. „Ich möchte gerne Kund*innen beraten“, sagt sie. Und ihr großer Wunsch ist es, dann irgendwann die österreichische Staatsbürgerschaft zu bekommen und eine Weltreise zu machen.
Sedra und Sireen sind staatenlos in Syrien aufgewachsen, als Nachfahren palästinensischer Geflüchteter von 1948. Der Krieg in Syrien hat sie dann nach Österreich gebracht. Beide haben hier auch ihren Pflichtschulabschluss gemacht. Während Sireen dann weiter Deutschkurse besucht hat und Praktika als Friseurin, Zahnarztassistentin sowie Kindergartenassistentin und Probetage als PKA und Hörgeräteakustikerin gemacht hat, hat Sedra eine 2-jährige Floristiklehre gemacht. Nach Probetagen als Bürokauffrau hat sie dann die Rückmeldung bekommen, dass sie unbedingt mit Menschen arbeiten soll, da sie so ein offener Mensch sei. „Ich habe einfach gerne mit Menschen Kontakt“, sagt sie. „Und ich würde gerne im medizinischen Bereich arbeiten.“ Ihr Wunschberuf wäre daher die pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin. Und ihr Traum: Mit einem Mann und vielen Tieren zu leben.
Und so sitzen Sedra, Shahd und Sireen jetzt gemeinsam im JAWANext-Kurs im Integrationshaus, in der Hoffnung, bald in ihrem Wunschberuf eine Lehre machen zu können.
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