Geschichte

Herr Rachinskyi war zeitlebens viel unterwegs, jetzt ist er in Österreich angekommen.

Ich bin ein wandelndes Denkmal. Ich bin 1941 geboren, wurde 1945 aus dem Kinderheim heraus adoptiert, habe gefangene Deutsche gesehen und war bei der ersten Siegesparade dabei.“ Herr Rachinskyi ist 84 und kommt aus der Ukraine, aus Odessa. Jetzt lebt er im Integrationshaus und erzählt seine Geschichten den anderen Ukrainer*innen, anekdotenreich und mit viel Humor. „Das Alter merkt man mir aber nicht an“, meint er schmunzelnd.

Herr Rachinskyi war in seiner Jugend zehn Jahre Leistungssportler, er fuhr Radrennen auf der Bahn und auf der Straße. „Ich war immer unter den ersten Drei, einmal habe ich sogar den Cup gewonnen“, erzählt er stolz. Aber dann hat er 1967 seine Frau Alla geheiratet, bekam einen Sohn, musste Geld verdienen. Und so heuerte er als Seemann an, bereiste die Welt. Bis nach Ecuador kam er mit Schiffen, die Bananen und Ananas transportierten. Als das System strenger wurde mit den verdienten Devisen, wurde er Hafenarbeiter, belud Schiffe und arbeitete als Kranfahrer. Bis ihn Freunde überzeugten, LKW-­Fahrer zu werden. So fuhr dann quer durch die Ukraine.

Doch dann kam der Krieg. Herr Rachinskyi hat direkt neben einem Flughafen gewohnt, wo zivile und militärische Maschinen abhoben und landeten. Eine Rakete zerstörte sein Haus, zum Glück war er gerade nicht zu Hause. Es war klar, dass ein Bleiben unmöglich war. Anna, seine Frau, hatte 1943-1945 in Österreichgelebt, sie wollte immer dorthin zurückkehren. Und somit war das Ziel der Flucht klar.

„Jetzt wohne ich im Integrationshaus, der Rest steht in den Sternen“, sagt er heute. Seine Frau ist vor acht Monaten gestorben, an einem Hirnschlag. Sie war davor auch schon krank, trotz Demenz ist es ihr in Wien anfangs aber ganz gut gegangen. „Das war ihre letzte Station, daher möchte ich, dass sie hierbleibt, ihre Urne hier beigesetzt wird“, wünscht sich Herr Rachinskyi.

Sein Sohn lebt seit 1992 in Israel. Die Mutter seiner Frau ist Jüdin, so durfte er sich dort niederlassen. Gesehen hat er seinen Sohn seitdem nie wieder, aber telefonisch hält er viel Kontakt mit ihm und seinem Enkel.

„In Österreich war alles anders: die Verkehrsmittel, der Lebensstandard, selbst die Natur“, sagt er über seinAnkommen. „Aber jetzt, wo ich ein neues Leben und neue Gedanken habe, vergesse ich auch so manche Schwierigkeiten der Vergangenheit.“ Hier in Wien geht er gerne ins Haus der Ukraine, besucht Konzerte mit Orgelmusik, Klavier oder Chören, und geht gerne auf Flohmärkte. „Da gibt es so spannende und komische Sachen: Sättel, alte Waffen, einen Gehstock mit einer Pistole als Griff“, lacht er. Das Hemd, das er gerade trägt, ist auch von einem Flohmarkt. Und dank dem Integrationshaus war er jetzt auch bei einem echten Ball, dem Flüchtlingsball. Die Stimmung und die Musik haben ihm gut gefallen, auch wenn es ihm manchmal zu laut war. Und die Reden der Politiker*innen hat er nicht verstanden. Auch nicht die bei der Wahlkundgebung der FPÖ am Stephansplatz, in die er hineingeraten ist. Aber ein Paar Würstel hat er bekommen, ein Stofftier und ein blaues Feuerzeug. Die Musik dort hat ihm gefallen.

„Mein Leben war interessant, sehr dicht und schwierig“, sagt Herr Rachinskyi zum Schluss. Wie es weitergeht, weiß er nicht. „Ich würde gerne bleiben, denn wohin sollte ich zurück?“

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