Gastkommentar

20 Jahre Grundversorgung – eine Bilanz

von Sieglinde Rosenberger, Politikwissenschafterin an der Universität Wien

Die Grundversorgungsvereinbarung (GVV) ist ein Meilenstein der österreichischen Asylpolitik. Allerdings sind seit den 20 Jahren ihres Bestehens die anderen asylpolitischen Maßnahmen durch mehr Strenge, Abschreckung und Abgrenzung charakterisiert. Einzige Ausnahme in diesem restriktiven Wettlauf ist die EU-Massenzustrom-Richtlinie für ukrainische Staatsbürger*innen. Sie gewährleistet unter den sozial-rechtlichen Regeln der Grundversorgung kollektiv Aufnahme und räumliche Niederlassungsfreiheit.

Die Grundversorgungsvereinbarung (GVV)
Im Jahre 2004 mit den Stimmen der Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und FPÖ beschlossen, regelt die GVV die vorübergehende Aufnahme und Basisversorgung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden. Sie ist eine rechtliche Vereinbarung zwischen dem Bund und den Bundesländern.  Die GVV ist ein Kompromiss zwischen sehr unterschiedlichen rechtlichen Erfordernis sen und Akteur*i nnen – zwischen der EU-Richtlinie, den damaligen Regierungsparteien ÖVP und FPÖ sowie den regionalen Interessen. Die Einbindung der Bundesländer war verfassungsrechtlich deshalb erforderlich, da diese die fürsorgerechtlichen Kompetenzen besitzen. Das Versorgungsinteresse der Schutzsuchenden schließlich vertraten primär die NGOs. Vor diesem Hintergrund hat die GVV zwei zentrale Ziele:

  • Die materielle Basisversorgung von Schutzsuchenden wie eine Unterkunft, das Notwendigste zum Leben (Essen, Kleidung) und Zugang zu basaler Gesundheitsversorgung zu gewährleisten;
  • Eine faire räumliche Verteilung der Schutzsuchenden (Quoten) und die Regelung der Finanzierung zwischen Bund und Bundesländern zu realisieren.

Verbesserungen gegenüber früher
Bis 1991 war alleine der Bund für die Versorgung hilfsbedürftiger Menschen im Asylverfahren zuständig. Und er ging dabei sehr selektiv vor. Per Erlass wurden Menschen auf Grundlage ihrer Staatsangehörigkeit (z.B. rumänische Staatsangehörige) von den Leistungen ausgeschlossen. Personen, deren Identität nicht nachweisbar war, ebenfalls. Dieses Vorgehen schlug sich in Zahlen nieder: zwischen 1991 und 2000 erhielt lediglich ein Drittel der Asylwerber*innen Bundesbetreuung. Gravierende Probleme wie Obdachlosigkeit von Schutzsuchenden waren die Folge. Diese Situation entschärfte nun die GVV. Kriterium für die Anspruchsberechtigung ist die Hilfs- und Schutzbedürftigkeit von Menschen ohne österreichische Staatsangehörigkeit.
Dennoch darf die prinzipielle Anspruchsberechtigung nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Tagsätze kaum ein Auskommen oder gar ein selbständiges Leben, Teilhabe und gesellschaftliche Integration erlauben. 2004 betrug der Unterbringungstagsatz € 17/Person/Tag und liegt heute bei € 25. Alle Leistungen wie Taschengeld, Freizeitgeld, Schulgeld, Bekleidungsgeld sind seit 2004 jedoch unverändert geblieben.

Schwierigkeiten und Reformbedarf
Für das Zustandekommen mussten sich Bund und Bundesländer einigen, für allfällige Reformen und Anpassungen an neue Gegebenheiten müssen Bund und Bundesländer abermals einen einstimmigen Kompromiss finden. Dieses Erfordernis blockiert Reformen. Neben den geringen Tagsätzen bringt die Wohnsitzverpf lichtung Probleme für die Betroffe-nen. Asylwerber*innen haben kein Recht, Wohnform oder Wohnsitz zu wählen. Der Wohnort wird zugeteilt, ab Aufnahme in die Grundversorgung gilt eine Wohnsitzbeschränkung. Die Wohnform schließlich hängt von der Praxis der Bundesländer ab – Wien und Vorarlberg präferieren private Wohnformen, die anderen Bundesländer setzen in erster Linie auf organisierte Gemeinschaftsunterkünfte. Diese Wohnform erlaubt wenig Privatsphäre und ist durch Vereinbarungen mit den Quartier geber*innen und durch Hausordnungen reglementiert. Davon hängt es oft ab, ob etwa Möglichkeiten zum selbständigen Kochen bestehen, wie Inspektionen erfolgen und wie Besuche von außen gehandhabt werden.

Schlussbemerkungen
Die GVV hat einiges bewirkt, aktuell hat sie aber großen Reformbedarf. Insbesondere bräuchte es angesichts des angespannten Wohnungsmarktes eine Regelung, die es berufstätigen Personen erlaubt, länger in Grundversorgungsquartieren zu leben. Dies würde den Übergang in ein eigenständiges Leben deutlich erleichtern.

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