Menschen
Wir sind ein starkes Team“ beginnt Olga (49) das Ge-spräch über den Alltag in der Ukraine. „Und ein sehr kreatives Team.“ Mit „Team“ meint Olga sich und ihre drei Kinder Vira (16), Gennady (14) und Darina (13). Alle drei sind adoptiert. Sieben Jahre hatte Olga versucht, Kinder zu bekommen, hat dafür gebetet, erfolglos. Dann sah sie eine Sendung über Waisenhäuser, für sie ein Wink Gottes. Wenig später adoptierte sie Vira, die war damals vier und gleich begeistert von ihrer neuen Mutter. Sie wollte zwar zuerst keine Geschwister, dann wünschte sie sich aber doch noch einen Bruder und eine Schwester. Jetzt sind sie also zu viert.
Olga hat ihr Studium als Regisseurin in Dnjepropetrowsk abgeschlossen und war dann Leiterin der Gesangs-, Theater- und Malabteilung in einem Jugendzentrum. Sie organisierte Feste und Konzerte zu allen Feiertagen in ihrer Gemeinde und in anderen Kollektiven. Aber auch ihre Kinder sind künstlerisch begabt. Vira hat schon ab ihrem fünften Lebensjahr mit ihrer Mutter an Stadtkonzerten, festlichen Veranstaltungen und internationalen Festivals teilgenommen. Jetzt studiert sie online am Kultur- und Kunstcollege. „Ich möchte diesen Weg weiter gehen, meine Mutter hat mich dabei immer unterstützt.“ Gennady hat in der Schule gerne Fuß-ball gespielt und Darina geturnt, beide haben aber auch Theater gespielt.
Das schönste Fest war aber immer Weihnachten. Schon Wochen vorher wurde die gemeinsame Aufführung einstudiert und ge-probt. Das Spiel wurde dann zu Weihnachten bei den Großeltern uraufgeführt. Der Opa spielte Akkordeon und war immer als Weihnachtsmann verkleidet, die Oma als Weihnachtsfrau. Darina war meist ein Schaf, Gennady ein Hirte und Vira die Schneefrau. Zur Belohnung gab es dann Süßigkeiten. Und im Anschluss ging es mit dem Stück in ukraini-schen Kostümen durch den ganzen Ort.
Doch dann kam der Krieg. Keiner hatte damit gerechnet, so kurz nachdem sie alle Weihnachten und Neujahr gefeiert hatten. Eigentlich wollten sie ja nach Deutschland, aber unterschiedlichste Umstände brachten sie nach Österreich. Die Reise war mühevoll und mit viel Angst behaftet. Es gab kaum Züge, die wenigen waren voll bis zum Dach, und in der Nacht durfte kein Licht aufgedreht werden, auch kein Handy. Irgendwann sind sie dann in Niederösterreich gelandet, die Familie Mathias und Claudia mit drei Kindern hat ihnen eine erste Unterkunft geboten. Dort wurde viel gemeinsam gespielt, gezeichnet und gesungen, den Kontakt gibt es immer noch. Seit September sind sie im Integrationshaus untergebracht. Sie fühlen sich dankbar, wie freundlich sie in Österreich aufgenommen wurden. „Wir können uns hier weiterentwickeln“, sagt Olga.
Der Alltag hat sich wenig geändert. „In der Früh frühstücken wir gemeinsam, dann setze ich mich an den Computer für mein Studium“, erzählt Viran. Darina und Gennady gehen in die Schule, in die österreichische und einmal wöchentlich in die ukrainische. „Wenn wir frei haben, machen wir gerne Sport und kreative Tätigkeiten.“ Und Olga macht das, was sie in ihrer Heimat schon gemacht hat: Sie arbeitet kreativ mit Kindern in der Kirche St. Barbara und arbeitet in der Wohltätigkeitsstiftung „Mama+YA“. Und sie hat Ausstellungen ihrer Bilder in Wien, Budapest und England.
Doch was wünschen sie sich jetzt zum ersten Weihnachten außerhalb der Ukraine? „Ich lebe noch wie in einem Traum, es ist so schwer, das alles zu begreifen. Ich habe viele Freunde, die im Krieg kämpfen müssen. Ich wünsche mir, dass der Krieg bald vorbei ist“, sagt Vira. „Frieden“, sagen Gennady und Darina fast gleichzeitig. Und eigentlich hof-fen alle, dass sie bald wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Außer Darina, sie würde lieber in Wien bleiben. Zum Ab-schluss zeigt mir Olga noch ein Bild, das sie gemalt hat. Ein kleines Mädchen mit einem Vogel. Der Vogel frisst reife Beeren aus ihrer Hand. Sein Wunsch ist erfüllt. Der Wunsch des jungen Mädchens nach Frieden ist noch unerfüllt.
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