Porträt
Es gibt für Viktor keine Worte für die körperlichen und psychischen Schrecken, denen er im Iran ausgeliefert war. Und es gibt auch keine Worte, um zu beschreiben, was ihm auf sei-ner jahrelangen Flucht widerfahren ist. Aber es gibt die Musik. Sie beruhigt das Herz. Sie besänftigt die Angst. Sie heilt.
Vor drei Jahren zog der 48-jährige Iraner, der sich vom Islam abwandte, seinen früheren Namen wie eine alte Haut abstreifte und sich heute Viktor nennt, in das Wiener Integrationshaus. Hier durfte er erstmals so vieles von dem sein, was ihm in seiner Heimat verwehrt war: Ein zurückgezogener, stiller Mann, der sich um die Pflanzen im Haus küm-mert und Ludwig van Beethoven verehrt. Ein Geigenspieler, der die Stücke des iranischen Komponisten Abolgasan Saba über alles liebt. „Ein komischer Mensch“, wie er selbst mit einem schüchternen Lächeln sagt.
In jungen Jahren entdeckte Viktor seine Leidenschaft für die klassische, persische Musik. Seit 30 Jahren spielt er Geige. Er nahm heimlich Unterricht bei privaten Lehrern und musizierte für sich allein. Musik war in seinem Land und in der streng religiösen Familie, in der er aufwuchs, verboten. Auszudrücken, was es für Viktor bedeutete, nie in einem Orchester spielen und nie an einer Musikhochschule studieren zu können, auch dafür reichen Worte nicht aus.
„Die Musik hat mich immer in Schwierigkeiten gebracht“, sagt er: „Ich wurde deshalb erniedrigt, beschimpft, verfolgt.“ Als er 2014 in Österreich ankam, hatte er nur mehr die Kleider, die er am Leib trug. Viktor sagt, er sei viel zu Fuß unterwegs gewesen, sei krank geworden, habe sich kaum mehr bewegen können, er habe kein Essen gehabt, keine Medikamente. Man habe ihm geholfen. In einer Flüchtlingsunterkunft schenkte ihm jemand eine alte Geige.
An manchen Tagen spielt Viktor acht Stunden auf ihr. Doch es gibt auch die Tage, an denen er sie liegen lässt, um sich einer anderen Passion hinzugeben – dem Reparieren von kaputten Gegenständen. Dann beugt sich der Iraner über mechanische Uhren und elektrische Geräte und steht nicht eher auf, bis er sie wieder zum Laufen gebracht hat. Außerdem sammelt er Schachteln. Viele davon bleiben leer. Viktor liebt es, sich vorzustellen, was sie enthalten könnten. Kürzlich hat er eine Lederjacke zerschnitten, die jemand weggeworfen hat, und damit das Innere einer Schachtel ausgekleidet.
Eine seiner Lieblingsboxen ist ein Fundstück aus Metall. Sie ist sehr stabil, ideal für seine Geige. Was Viktor zu seinem Glück jetzt noch fehlt, ist eine Wohnung, wo er niemanden belästigt, wenn er auf seinem Instrument spielt, eine Arbeit, die Geld bringt, und die Chance, anderen eine Freude zu bereiten. Sei es mit seiner Musik oder mit einer Reparatur.
Jeder Mensch habe besondere Talente, einer könne gut laufen, ein anderer sei ein guter Pilot. Er, Viktor, achte sehr auf die Dinge, sagt er. Es erfülle ihn mit Freude, etwas Wertloses in etwas Wertvolles zu verwandeln. Fragt ihn jemand, warum er so viel Zeit damit verbringt, antwortet er: „Meistens sieht man im Müll nur den Müll. Aber er ist wie schmutziges Gold. Man kann es wieder zum Glänzen bringen.“
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