Aus dem Haus

Ein neues Leben

Said hat nach seiner Flucht aus Somalia viel durchgemacht. Jetzt hat er einen sicheren Ort gefunden.

Said ist müde. Er hat auch diese Nacht wieder nur drei Stunden geschlafen. Es geht ihm so viel durch den Kopf. Letzte Woche ist ein Bruder von ihm gestorben. Eine Autobombe in Mogadischu hat ihn getötet. Er wollte seine Mutter besuchen, sonst arbeitete er als Dolmetscher in einem UNHCR-Flüchtlingscamp in Kenia. Ein paar Monate davor sind auch andere Familienmitglieder gestorben. Medikamente gegen die Schlaflosigkeit möchte Said aber jetzt keine nehmen. Denn die machen ihn erst recht müde. Derzeit macht er aber einen Deutschkurs, und den möchte er unbedingt durchziehen. Weil ohne Deutsch geht es nicht, das sagen auch seine Freunde.
Ganz offen redet er auch über seine Probleme in der Vergangenheit. Über sein Abdriften in den Alkohol, weil er, angekommen in Wien, erst einmal komplett hilf- und ziellos war. „Ich habe mich nicht um mein Leben gekümmert, habe keine Zukunft gesehen.“ Immer wieder hat er in verschiedenen Wohnungen von Freunden übernachtet, drei Monate war er obdachlos. Seine Mutter in Somalia, mit der er immer in Kontakt war, machte sich große Sorgen. Über einen Freund kam er zum Integrationshaus. „Hier hat ein neues Leben begonnen“, sagt er.
Im Integrationshaus hat er ein eigenes Zimmer, die Wohneinheit teilt er sich mit einem Mann aus der Ukraine. Und er hat Menschen, mit denen er über seine Probleme, seine Depressionen reden kann. Da ist die Psychologin  Barbara, aber vor allem seine Betreuerin Dina. Sie schauen darauf, dass wieder Struktur in sein Leben kommt. „Said ist extrem motiviert, und ein lieber und hilfsbereiter Bewohner. Wir helfen ihm dabei, dass er sein Leben wieder in den Griff bekommt. Rechtzeitig zu seinen Arztterminen geht und den Deutschkurs besucht.“
Schule hat Said in seinem Leben nicht wirklich kennengelernt. Nach der Flucht aus Somalia nach Kenia mit neun Jahren war er ein Jahr in der Schule. „Die Schule ist nicht wie hier. Es sind religiöse Schulen. Man wird oft geschlagen.“ Danach hat er mit elf begonnen, als Kellner in einem Restaurant zu arbeiten. Dort hat er dann Englisch gelernt. Und wurde später zum Assistenzkoch. Das reichte zum Überleben, aber nicht zum Leben. 2016 ist er dann aus Kenia geflohen, nachdem sein Bruder und Vater durch die Al-Shabaab ermordet wurden. 2018 hat er subsidiären Schutz bekommen. Seit 2020 lebt er im Integrationshaus.
Said ist jetzt in der Grundversorgung. Das heißt, ein Dach über dem Kopf und Verpflegung. Im Integrationshaus wird das Verpflegungsgeld direkt an die Menschen ausbezahlt. 201,5 Euro im Monat. Dazu 40 Euro Taschengeld. Für Said ist es ein ständiges Abwägen, was er sich leisten kann. Zumindest zwei Mal Essen am Tag. In der Früh Brot, Eier und Milch, am Nachmittag Reis mit Gemüse. Auf Fleisch verzichtet er, auch aus gesundheitlichen Gründen. Er kauft immer in größeren Mengen ein, dann ist es billiger. Und einmal die Woche lädt ihn ein somalischer Freund zum Essen nach Hause ein. Dazu kommt dann noch die Monatskarte für die Öffis, die er zum Teil selber zahlen muss. Und manchmal, wenn er besonders sparsam ist, kann er sich ein bisschen etwas zur Seite legen, um einmal Schuhe oder Kleidung zu kaufen. Am Straßenmarkt oder beim Kleiderdiskonter. Markengeschäfte sind für ihn nicht denkbar. Und mit dem Rauchen hat er aufgehört. „Das kann ich mir nicht mehr leisten. Und gesünder ist es auch“, grinst er.
Um abzuschalten macht Said viel Sport. Er spielt regelmäßig Fußball im Prater mit Freunden aus den verschiedensten Ländern, oder Basketball am Reumannplatz. Er geht auch oft in die Bibliothek, um zu lesen. Wieder betont er, wie wichtig es ist, die Sprache zu lernen. Und er spielt Gitarre. Stolz zeigt er ein You-Tube-Video, wo er mit seinen Freunden spielt. Und sein Traum für die Zukunft? Deutsch lernen, und dann Koch werden und heiraten, etwas mehr essen. Museen besuchen. Und vor allem seine Mutter unterstützen können. Sie ist vor ein paar Monaten an Krebs erkrankt. Das bereitet ihm große Sorge. Er möchte tun, was man halt tun kann, aus der Ferne. „Das Integrationshaus ist mein sicherer Platz“, sagt er am Ende des Gesprächs.

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