„Politik forciert Isolation von Asylsuchenden“

Die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch erstellte gemeinsam mit 28 Expert*innen einen aktuellen Bericht zur österreichischen Integrationspolitik. Das Nachwirken desintegrativer Maßnahmen von Türkis-Blau sei deutlich spürbar, positive Ansätze von Türkis-Grün hingegen vielfach noch unkonkret, so der Bericht. Zu diesem Fazit kommt auch Geschäftsführerin Andrea Eraslan-Weninger in ihrer Expertise für den Bericht von SOS Mitmensch:

Leider wird in vielen Bereichen die Abwehr und Desintegration von Asylsuchenden fortgesetzt.

Ein zentraler Kritikpunkt ist die Umsetzung der rechtsstaatlich bedenklichen Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU): Es ist zu befürchten, dass durch die Verstaatlichung der Rechtsberatung zukünftig fehlerhafte oder willkürliche Entscheidungen nicht mehr entsprechend bekämpft werden und auch der Kontrolle der Öffentlichkeit weitgehend entzogen sein könnten. Faire Asylverfahren sind dadurch in Frage gestellt. Es wird sehr wichtig sein, dass NGOs weiterhin parteiische unabhängige Rechtsberatung anbieten und zivilgesellschaftliche Kontrolle ausüben. Sehr kritisch wird dabei auch die ebenfalls verstaatlichte Rückkehrberatung gesehen.

Es fehlen ausreichende Qualitätsstandards in der Grundversorgung.

Bei der Verstaatlichung der Grundversorgung ist grundsätzlich nicht entscheidend, ob Grundversorgung staatlich oder privat angeboten wird, sondern, dass entsprechende Qualitätsstandards geschaffen und eingehalten werden, die derzeit in der Grundversorgung-Bund keinesfalls sichergestellt sind! Wichtig sind hierbei externe Kontrollmechanismen um die Entwicklung und Einhaltung von Standards zu prüfen. Entsprechend der EU-Aufnahmerichtlinie sind für besonders schutzbedürftige Asylwerber*innen, wie unbegleitete minderjährige Geflüchtete, physisch und psychisch Kranke, etc…, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Betreuung vorzusehen. Dafür braucht es eine Identifizierung von besonders schutzbedürftigen Personen von Anfang an, eine dem Betreuungsbedarf entsprechende Unterbringung, sowie Kontrolle und Zugang der Zivilbevölkerung. Im Regierungsprogramm ist zwar die Weiterentwicklung eines qualitätsvollen Grundversorgungssystems angekündigt, jedoch sind keine konkreten Maßnahmen vorgesehen. Hier gibt es einen dringenden Handlungsbedarf, da die Tagsätze in der Grundversorgung schon jahrelang nicht mehr dem Bedarf und der geforderten Qualität entsprechend angepasst wurden. Qualitätsvolle Grundversorgung wird derzeit nur von engagierten NGOs geleistet, die zusätzlich zur Grundversorgung Spenden einsetzen müssen, um eine hochwertige Unterbringung und Betreuung sicher zu stellen.

Wir als NGOs werden alles unternehmen, um der Isolation von Asylsuchenden entgegenzuwirken.

Dies bedeutet, Geflüchtete weiterhin mit unabhängiger Rechtsberatung zu unterstützen, für die Entwicklung von Qualitätsstandards in der Grundversorgung zu kämpfen und sich als Zivilgesellschaft massiv einzumischen. Die Isolation von Asylsuchenden ist aktuell schon in der Bundesbetreuung sehr problematisch. Die Umsetzung des Plans, Asylverfahren an der Grenze durchzuführen, würde eine Steigerung dieser Isolation bedeuten.
Der Plan, verbesserte und beschleunigte Asylverfahren durchzuführen, wird grundsätzlich positiv gesehen. Hier ist die wichtigste Forderung, endlich die Ausbildung und Qualifikation des Personals in erster Instanz stark anzuheben!

Es ist wichtig zum Prinzip „Integration von Anfang an“ zurückzukehren.

Wir wissen aus jahrzehntelanger Erfahrung, wie wichtig es ist, Integrationsmaßnahmen schon während des Asylverfahrens anzubieten. Derzeit hängt es sehr stark von den einzelnen Bundesländern ab, ob es ein qualitativ hochwertiges und ausreichendes Deutschkurs-Angebot für Asylsuchende gibt. Das liegt daran, dass an den direkt auf Bundesebene organisierten Deutschkursen des ÖIF nur Asylsuchende mit einer „hohen Anerkennungswahrscheinlichkeit“ teilnehmen können. So bleibt dann die oft sehr lange Wartezeit im Asylverfahren ungenützt und die Menschen sind zum ‚Nichtstun‘ verdammt. Insgesamt braucht es ein differenziertes Bildungs- und Ausbildungsangebot der Erwachsenenbildung ebenso wie integrativen Schulunterricht und einen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Ausbildungsmaßnahmen des AMS, auch schon während eines Asylverfahrens.

Ein wichtiger Reformpunkt betrifft auch unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Hier ist im Regierungsprogramm vorgesehen, den Schutz und die Rechtsstellung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen durch eine schnellere Obsorge zu verbessern. Auch hier braucht es jedoch dringend eine Obsorge ab dem ersten Tag und eine Unterbringung entsprechend den Standards in der Kinder- und Jugendhilfe!

Auch in den Bereichen der sozialen Sicherung und beim Wohnen gibt es Lücken.

So sollten subsidiär Schutzberechtigte auch weiterhin, unabhängig in welchem Bundesland sie wohnen, den vollen Richtsatz im Rahmen der Sozialhilfe erhalten und nicht auf Leistungen in der Höhe der Grundversorgung (365 Euro im Monat) angewiesen sein. Aus Integrations-Sicht wäre es auch sehr wichtig endlich ausreichenden sozialen Wohnraum für von Armut Betroffene zu schaffen. Am privaten Wohnungsmarkt ist es in der Zwischenzeit aufgrund der viel zu hohen Mieten fast unmöglich, für Geflüchtete einen adäquaten Wohnraum zu finden.

Es müssen endlich legale Fluchtwege geschaffen und Geflüchtete im Rahmen von Resettlement-Programmen und Relocation-Maßnahmen aufgenommen werden.

Österreich sollte sich z.B. dringend an der Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten aus Griechenland beteiligen.

 

Im Regierungsprogramm gibt es aber auch viele integrative Ansätze, wie den Ausbau von Diversitätskompetenzen oder des Integrationsjahres, uvm... Entscheidend wird aber sein, ob auch angemessene Budgetmittel für die tatsächliche Umsetzung dieser Maßnahmen zur Verfügung stehen werden.

 

zum Integrationsbericht 2020 von SOS Mitmensch "Rückkehr der Integrationpolitik?"

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