aktuelle Stellungnahme

Bewohner*innen des Integrationshauses im Stiegenhaus

Subsidiär Schutzberechtigte haben ein Recht auf Schutz und soziale Sicherheit

Das Integrationshaus Wien warnt eindringlich vor den Folgen der geplanten Neuregelung, wonach Personen mit dem Aufenthaltstitel „subsidiär schutzberechtigt“ ab 2026 in Wien keine Mindestsicherung mehr beziehen dürfen und stattdessen in das System der Grundversorgung zurückfallen. Diese Maßnahme bedroht nicht nur die Existenz vieler Betroffener, sondern auch zentrale Fortschritte in der Integrationsarbeit der vergangenen Jahre. Die Folgen dieser Maßnahme wären dramatisch:

1. Direkte Betroffenheit unserer Klient*innen
Das Integrationshaus begleitet jährlich über 5.000 Schutzsuchende, Migrant*innen und Geflüchtete – darunter einen signifikanten Anteil subsidiär Schutzberechtigter.
Viele von ihnen leben in privaten Wohnungen, arbeiten oder befinden sich in Ausbildung. Für sie bedeutet der Verlust der Mindestsicherung den Verlust ihrer Wohnsicherheit und Selbstständigkeit.

Der Weg zurück in die Grundversorgung ist dabei für einen Großteil der Schutz-berechtigten, die arbeiten oder in AMS-Schulungen sind, gar nicht möglich, da sie über ein Einkommen verfügen, das zwar unter der Mindestsicherung liegt, das aber höher als die Zuverdienstgrenze für den Anspruch auf Grundversorgung ist. Sie sind sogenannte „Aufstocker*innen“, wodurch sich erst ein selbstständiges Leben ermöglicht.

Unsere Mitarbeiter*innen berichten schon jetzt von zunehmender Verunsicherung, Existenzängsten und der Furcht vor Delogierungen.

2. Dramatische Auswirkungen auf Wohnsituation und Stabilität
Ein Großteil der subsidiär Schutzberechtigten lebt in privaten Mietwohnungen und nicht in Grundversorgungseinrichtungen. Ohne Mindestsicherung können sie diese nicht mehr finanzieren. Zusätzlich sind sie hinsichtlich des Zugangs zu leistbarem und menschenwürdigem Wohnraum mehrfach benachteiligt: Sie haben keinen bzw. einen erschwerten Zugang zum kommunalen Wohnbau, zu geförderten Wohnungen gemeinnütziger Bauträger*innen oder zu Angeboten der Wiener Wohnungslosen-hilfe.

Das Risiko von Wohnungsverlust und Verelendung steigt erheblich.
Im schlimmsten Fall werden Menschen, die bereits integriert und selbstständig leben, in Grundversorgungsunterkünfte zurückgedrängt – eine Maßnahme, die soziale Isolation, psychische Belastungen und gesellschaftliche Spannungen verschärft.

Gerade das Integrationshaus wird dadurch doppelt belastet: Wir müssten mehr Kriseninterventionen und Notbetreuung leisten, während gleichzeitig die Mittel für langfristige Integrationsarbeit gekürzt werden.

3. Rückschritt statt Integration
Subsidiär Schutzberechtigte gehören zu den integrationswilligsten Gruppen in Wien. Laut aktuellen Zahlen sind zwei Drittel von ihnen arbeitsfähig, deutlich mehr als im Gesamtdurchschnitt der Mindestsicherungsbezieher*innen. Viele nehmen an Deutsch- und Qualifizierungskursen teil, sind in AMS-Programmen oder stocken ein niedriges Einkommen auf. Nur durch diese grundlegende finanzielle Absich-erung ist der Übergang in ein selbstständiges Leben und die Erlangung von arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen überhaupt möglich.

Der Rückfall in die Grundversorgung bedeutet einen teilweisen Verlust des Integrationsanspruchs und -angebots, vor allem aber der existenziellen Absicherung, die wesentliche Voraussetzungen für die individuell notwendigen Integrationsschritte sind.

4. Widerspruch zu Wiens menschenrechtsbasierter Integrationspolitik
Wien gilt seit Jahren als Vorbild einer solidarischen und sachorientierten Integrations-politik. Die geplante Änderung steht in direktem Gegensatz zu diesem Ansatz: Während die Stadt Wien Integration aktiv fördert – etwa durch Projekte des Fonds Soziales Wien, durch Bildungsprogramme oder das Realkostenmodell – konter-kariert die neue Regelung diese Bemühungen.

Anstatt Menschen zu befähigen, sich selbst zu erhalten, werden sie in ein passives Unterstützungssystem gedrängt, das keine Perspektive auf Teilhabe oder Selbstständigkeit bietet.

5. Folgen für subsidiär Schutzberechtigte und die Zivilgesellschaft
Der Wegfall des Anspruchs auf Mindestsicherung und die Rückkehr subsidiär Schutzberechtigter in die Grundversorgung würde:

  • Wohnungsverlust und Obdachlosigkeit fördern
  • Armut und vor allem Kinderarmut massiv erhöhen (rund ¼ der subsidiär Schutzberechtigten Mindestsicherungsbezieher*innen sind Kinder!)
  • für die wirtschaftliche, soziale, kulturelle und gesellschaftliche Integration von subsidiär Schutzberechtigten einen enormen Rückschritt bedeuten
  • den psychosozialen Betreuungs- und Beratungsbedarf massiv erhöhen,
  • den Druck auf Notunterkünfte und soziale Dienste steigern,
  • und die Erfolge von drei Jahrzehnten Integrationsarbeit gefährden.

Das Integrationshaus steht täglich an der Schnittstelle zwischen sozialer Stabilisierung und gesellschaftlicher Teilhabe. Wenn Menschen wieder in Abhängigkeit und Unsicherheit gedrängt werden, zerfällt das Fundament dieser Arbeit.

6. Unsere Forderungen

Das Integrationshaus fordert daher:

  1. Erhalt des Zugangs zur Wiener Mindestsicherung für subsidiär Schutzberechtigte bis zu einer echten, sozial verträglichen Alternative.
  2. Schrittweise und sozial abgefederte Übergänge, um Delogierungen und psychosoziale Krisen zu verhindern.
  3. Verankerung eines Rechts auf Integrationsleistungen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
  4. Sicherung von Wohnraum und Zugang zu Arbeit, statt Rückführung in institutionelle Abhängigkeit.


Integration gelingt nicht durch Rückschritte, sondern durch Stabilität, Bildung und Eigenständigkeit. Die geplante Regelung gefährdet all das. Die letzten Jahre haben auch in Wien bei den Menschen, die aus der Ukraine vertrieben wurden, gezeigt, dass das Grundversorgungssystem, das immer schon als ein temporäres System angelegt ist, kein geeignetes Unterstützungssystem für die Integration von Menschen in die österreichische Gesellschaft ist. Ohne einen existenzsichernden Übergang zu schaffen, der es Menschen ermöglicht, grundlegend gesichert in ein selbstständiges und selbsterhaltungsfähiges Leben zu treten, schafft Hürden, die nur schwer zu überwinden sind.

Die Wiener Flüchtlingshilfe hat bereits im Oktober 2020 Vorschläge zur Ermöglichung von Selbsterhaltung und Teilhabe von Subsidiär Schutzberechtigten und Geflüchteten in zentralen Lebensbereichen erarbeitet und steht selbstverständlich jederzeit bereit, diese Expertise mit politischen Entscheidungsträger*innen zu teilen.

Das Integrationshaus steht seit 30 Jahren für ein Wien, das Menschen auf der Flucht eine Zukunft ermöglicht – nicht, indem man sie verwahrt, sondern indem man sie stärkt.

„Wir dürfen Integration nicht durch kurzfristige Sparlogik zerstören. Wer hier lebt, soll hier auch ankommen dürfen.“

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